Theaterwissenschaft München
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Romane auf dem Theater

 

Eine Debatte in drei Gesprächen

In Zusammenarbeit mit den Münchner Kammerspielen

Freitag, 8. Juli, 22.15 Uhr, Samstag, 16. Juli 17 und 22 Uhr

 

 

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Gesprächsrunde I

Sinn-Räume – Sinnes-Räume

Freitag, 8. Juli, 22.15 Uhr (nach der Vorstellung Hotel Savoy) in der Spielhalle

Jürgen Schläder, Johan Simons, Steven Scharf, Pierre Bokma, Brigitte Hobmeier

 

Moderation: Matthias Günther

 

Theaterräume ohne traditionelle Bühne, Architekturen mit qualitativ unterschiedlichen Zuschauer-Sitzplätzen, Arrangements von theatralen Handlungsorten, die sich nicht mehr mit einem (Gesamt-)Blick erfassen lassen – kurz: der Zwang zur permanenten Entscheidung des Zuschauers, was er anschaut während der Aufführung, ist längst zum Stilmittel zeitgenössischen Theaters insgesamt avanciert, vor allem aber bei zahlreichen Roman-Adaptationen, bei Ruf der Wildnis ebenso wie beim Prozess und vor allem bei Hotel Savoy. Der Raum in der Spielhalle ist allein schon die halbe szenische Interpretation und verlangt vom Zuschauer sehr individuelle und bisweilen schwierige Entscheidungen für seinen Theaterabend. Auch der Zuschauer muss seine „Rolle“ spielen/beherrschen/ausfüllen.

 

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Gesprächsrunde II

Romane auf dem Theater

Samstag, 16. Juli, 17-19 Uhr (vor der Vorstellung Ruf der Wildnis) im Werkraum

Johan Simons, Koen Tachelet, Christine Dössel, Jürgen Schläder, Anette Paulmann

 

Moderation: Matthias Günther

 

Noch vor kurzem galt der dramatische Text auf deutschen Theaterbühnen als old-fashioned. Angesagt war ein Theater jenseits des Dramas, also keine Fiktion, sondern selbstreflexives Bühnen-Ereignis; keine Repräsentation von Figuren, sondern performative Präsenz der Schauspieler/innen; kein Sinn der durchorganisierten Handlung, sondern körperliche und räumliche Sinnlichkeit. Mit einem Wort: postdramatisches Theater. Seit zwei Jahren setzt der Roll-back ein. Deutsche Schauspielbühnen werden überschwemmt mit Adaptationen von Romanen und Erzählungen, also von Narrationen mit fiktiv entworfenem Weltbild und ebensolcher Wirklichkeit, mit präzis konturierten Figuren und stringenten Handlungen. Aber die künstlerischen Mittel, mit denen die Romane auf der Bühne präsentiert werden, stammen augenscheinlich aus dem postdramatischen Theater. Sind die Romane auf der Bühne also wirklich ein Roll-back? Retten sie das dramatische Theater? Braucht das Drama als Aufführungstext überhaupt eine Rettung? Oder ist der Roman auf der Bühne ein wegweisender Schritt in die Zukunft des Theaters? Das sind die Fragen, die beantwortet sein wollen.

 

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Gesprächsrunde III

Theatrale Körperpolitik – Zwischen Vereinnahmung und Widerstand

Samstag, 16. Juli, 22-23.30 Uhr (nach der Vorstellung Ruf der Wildnis) im Werkraum

Benny Claessens, Julia Lochte, Jörg von Brincken, Kristof Van Boven, Tobias Staab

 

Moderation: Jürgen Schläder

 

Der Körper existiert im Spannungsfeld gesellschaftlicher, politischer, medialer, ökonomischer und zwischenmenschlicher Regulierungskräfte. Von überall her werden ihm verführerische Muster angeboten, in die er seine Lebendigkeit wie in Gussformen einspeist, Modelle, in die er nicht mehr nur wie in Rüstungen hineingezwungen wird, sondern denen er sich in intimen Liaisons verliebt anschmiegt. Zwischen strenger Disziplinierung und  zärtlicher Modulierung bestehen in postindustriellen Zusammenhängen nur mehr graduelle Unterschiede. Der Körper oszilliert zwischen Freiheit und Kontrolle, seine leibliche Autonomie, sein energetisches Potenzial, die in ihm wohnenden Intensitäten scheinen mehr und mehr der wertvolle Roh- und Treibstoff zu sein, aus dem sich die Dynamik des gesellschaftlichen und ökonomischen Systems speist. In Auseinandersetzung mit Alvis Hermanis’ Ruf der Wildnis Inszenierung werden folgende Fragen zu besprechen sein: Welche Rolle spielt die Körperpolitik des gegenwärtigen Theaters dabei? Ist sie nur eine scheinheilige Doublette der Seduktion des Systems oder zeichnet sich in den inszenierten Leibern eine nicht zu vereinnahmende Autonomie ab? Eine theatrale Entfesselung der Utopie des Leibes also, die jenseits aufgeklärter Kritik ihre Energien entfaltet – auf der Szene und darüber hinaus mitten ins Leben?

 

Im Anschluss: Filmaufführung Sentimenti (Regie: Johan Simons, Paul Koek)