Theaterwissenschaft München
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Game Culture als Performance - Game Culture as Performance

English version here

Play as Work / Work as Play. Zur Flexibilisiernug und Durchdringung von ästhetischen mit technisch-funktionalen, ökonomischen und sozialen Strukturen im Entwurfsprozess von PC- und Videogames

 

Das Teilprojekt begreift PC- und Videospiele als Teil einer kollektiven kulturellen Praxis, deren kreatives Potential unter der Performance-Perspektive analysierbar wird. Über die Erwägungen bereits bestehender Disziplinen (wie etwa den nach narrativen Gesichtspunkten recherchierenden game studies, der game-spezialisierten Filmforschung und der vor allem mediumsimmanent verfahrenden ludology)  hinaus soll die Kreation von PC- und Videogames als intermedial bedingter, transindividuell perspektivierter und somit offener Prozess betrachtet werden, der durch nichttraditionelle räumliche und zeitliche Formen „immaterieller Arbeit“, durch in sich differente, wandelbare und einander überlagernde kollektive Entwurfs-Netzwerke sowie durch die spezifischen Infrastrukturen von deren Zusammenwirken bestimmt ist.

Nicht das vorab geregelte Produktkonzept und seine zielgerichtete Einschreibung in ökonomische Kreisläufe sowie seine präzise Einwirkung auf soziale Handlungsabläufe und die Konsumenten-Disziplinierung steht im Fokus des Interesses, sondern die Tatsache, dass die Entwicklung von Spielen ein von dynamischen Konfigurationen und feedback-Schleifen zwischen Produktion und Konsumption gekennzeichneter Prozess ist, der zu beständigen Veränderungen, gegenseitigen Anpassungen und vorläufigen Transformationen nicht nur auf ökonomischer und technischer sondern gerade auch auf ästhetischer und sozialer Ebene führt.

Für die Produkt-Entwicklung im Bereich des game designs gilt, dass sie nicht mehr als ein durch einen identifizierbaren Entwickler in Gang gesetzter einseitiger, auktorieller und disziplinarischer Gestus zu begreifen ist, der eine Vergesellschaftung von Aufmerksamkeit nach Maßgabe vorausgehender (ökonomischer, technischer aber auch symbolisch-identifikativer) Zielvorgaben betreibt, sondern als transsubjektiver modularisierender Vorgang, der sich der Gestreutheit und Mobilität der zu formenden Größen und aller beteiligten Individuen in permanent variierenden Konstellationen anpasst: Zum einen ist der in Rede stehende Entwurfvorgang (an dem ohnehin eine Vielzahl von Individuen mit unterschiedlichen Aufgaben beteiligt ist) als transmedialer Vorgang der Umformung bestehender Vorgaben aus der consumer culture zu verstehen, wo etwa narrative und motivische Muster aus vorhandenen Bereichen (bereits existente Spielversionen, Filme, Comics usw.) übernommen und zu den eigenen Bedingungen ausgebaut bzw. modifiziert werden, um dann ihrerseits wiederum in größere mediale Verwertungszusammenhänge (Spielforen, Gamewebsites, Verfilmungen usw.) eingeführt zu werden. Diese Verzweigung in einem gestreuten intermedialen Milieu, das Produzenten und Konsumenten mit ganz unterschiedlichen Interessenlagen innerhalb reversibler dynamischer Netzwerke zusammenschließt, deren Modifikationen beschreibbar, jedoch nicht vorhersehbar sind, wirkt auf die Entwurfsökonomie zurück, indem sie dort die Tendenz zur seriellen Variante einmal entworfener Spielstrukturen sowie deren neuerliche Einspeisung in das Milieu befördert. Die einander kontingenten Entwurfshandlungen werden in ihrer Aufeinanderfolge von anderen wahrgenommen werden und führen zu kreativen Anschlussgesten, ein Umstand, der die Akteure zwingt, ihr Verhalten beständig an der Fremd- und Eigenwahrnehmung innerhalb des Netzwerkes zu orientieren und sie somit zu Beobachtern eigener Prägung werden lässt.

Für die Perspektive auf Kreativität hat das einschneidende Folgen: Sie kann nur nach Maßgabe einer „distribuierten Ästhetik“ erfasst werden, die das binäre Schema von Form und Medium aufgibt und stattdessen der Tatsache Rechnung trägt, dass kreatives Handeln sich verzweigt in asynchrone Produktion im Sinne einer multiplizierten Verfügungsmacht über das jeweils nur vorläufige Artefakt.

Damit ist die ästhetische Erfahrung als solche von letzterem weg hin auf das kollektive Gestaltungs-Erleben und das Erlebnis der Dynamik des Kollektivs und der aus ihm konstituierten emergenten Phänomene verschoben.

Die dynamische Verteilung von Konzeptionsmacht an komplexe Netzwerke aus disparaten  Individuen, Apparaten und medialen Instanzen ist in der Lage, die festen Grenzen zwischen Produktion und Konsumtion sowie diejenigen zwischen technischer Effektivität, ökonomischer Effizienz und affektiv-performativen Dispositionen aufzulösen. Sinnfällig wird dies nicht zuletzt an der für den Entwurfsprozess konstitutiven Verschränkung von funktionalem Handeln, performativer Erprobung und spielerischem Agieren als Aspekten einer umfassenden immersiven Ästhetik des game designs. Die dezentrierende „Personalunion“ von game designer und player/gamer führt zum Ausbau von informellen und undisziplinierten Entwicklungsverfahren und von ludischen Kommunikationsmodi, sie setzt außerdem die Erschließung ‚impliziten’ Wissens und nicht zuletzt die Entfaltung sinnlich-affektiver Kreativität (zumal die Auslotung körperbasierter Gestaltungskompetenz) als bedingenden Kriterien technisch-ökonomischen Handelns voraus. All dies Aspekte einer unter dem Performance-Begriff anvisierbaren affektbasierten Konzeption „immaterieller Arbeit“, die innerhalb rein produkt- und verfahrensorientierter Erfassungsmodelle zumeist marginalisiert werden.

Der als theoretische Leitperspektive fungierende Begriff der „immateriellen Arbeit“, der von Hardt/Negri für den Diskurs um die postkapitalistische Formen der Arbeitsorganisation (auch vor dem Hintergrund kooperativer Intelligenz in informatisierten Netzwerks-Ökonomien) perspektiviert wurde,  meint die Erschließung und Repräsentierbarkeit vorrangig informeller, affektorientierter und körperbasierter Kommunikationsweisen, die zur Produktion von sozialen Netzwerken und fluktuierenden Formen von Gemeinschaft charakterisiert ist.

 Wenngleich die Hochwertung von „immaterieller Arbeit“ innerhalb aktueller ökonomischer Diskurse als biopolitische Strategie der post-kapitalistischen Gesellschaft durchschaubar sind, so ist dennoch zu fragen, inwieweit sie nicht als Potential einer nachhaltigen Veränderbarkeit gesamtgesellschaftlicher und globaler Strukturen verhandelbar wird: Die forcierte Ununterscheidbarkeit ökonomischer und kultureller Phänomene wäre somit keineswegs nur als Vehikel der Technisierung und Industrialisierung von Kultur zu denken, sondern zeichnet sich zugleich als Möglichkeit zu einer dynamischen ’Kulturalisierung der Ökonomie’ ab. Insgesamt ist also über die dargelegten Perspektiven hinaus nach der besonderen sozialen und kulturellen Mobilisierungskraft der kreativen Potenziale von game culture schlechthin fragen.

Gerade am Beispiel des kollektiven und affektorientierten game designs wäre der kontingenten Entwicklung und dynamisch-modulatorischen Verschränkung ästhetischer und funktionaler Handlungsdevisen innerhalb einer umfassenden consumer culture nachzugehen. Nicht zuletzt stellt sich damit vor dem Hintergrund der Diffusion der Bereiche von Spiel, ökonomischem Wert und technischem Nutzen, die die Gesamtkultur erfasst hat, die Frage nach der game culture im Sinne einer (Produktion und Konsumtion gleichermaßen umfassenden) Praxis der ‚Einübung’ in eine transmedial kulturalisierte und dezentrierte Subjektivität. Die skizzierten Aushandlungsprozesse der game culture deuten zum einen generell auf die Kontingenz stratifizierter sozialer Strukturen und institutionalisierter Handlungsmacht und auf die Reversibilität der mit dieser Macht verbundenen Zuschreibungen (aktiv – passiv, Produzent – Konsument usw.). Im engeren Sinne eröffnen sie vor diesem Hintergrund jedoch die Möglichkeit zur spielerisch-praktischen und durchaus individuell verschiedenen Aneignung „post-humaner“ Lebensstile, in der die Grenzziehungen zwischen Technologie, Ökonomie und Spiel aber auch die zwischen Virtualität und Realität tief greifenden Verschiebungen und Durchdringungen ausgesetzt sind.

 

Dr. Jörg von Brincken