Theaterwissenschaft München
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Performance

Mann und Frau in inniger Umarmung, ihre Lippen fest aufeinander gepresst. Leidenschaftlicher Kuss von quälender Dauer. 18 Minuten lang. Zärtlichkeit schlägt um in verzweifeltes Gerangel, aggressives Schieben und Drängen, Kampf um Sauerstoff. Die Nasenlöcher der Küssenden sind mit Knetmasse verstopft. Atemluft?: der Atem des anderen. Schließlich lassen sie erschöpft voneinander ab.

Ihre Körper spielen dieses Spiel nicht mehr mit.

Die beschriebene Performance »Breathing in, Breathing out« von Marina Abramovic und ihrem Partner Ulay steht paradigmatisch für die Performancekunst seit ihren Anfängen bis heute. Unerheblich, um welches Genre der Performance es sich handelt, um Body Art, um Maschinenperformance, Multimediaspektakel, Tanzperformance oder um Theaterperformance: Die Realität des Körpers, der Zufall, das Hier und Jetzt des schieren Vorgangs verschränken sich unauflöslich mit dem, was von ihnen an ästhetischer Ausstrahlung ausgeht.

Performance strebt im Gegensatz zum herkömmlichen Theater eine Realerfahrung an, eine gegenseitige Entgrenzung, wenn nicht die völlige Aufhebung der Limits von Kunst und Wirklichkeit, sie begreift das Ästhetische und speziell das Theatralische als wesentlichen und konstitutiven Teil des Wirklichen. Und diese Entgrenzung umfasst stets beide: die Agierenden wie die Zuschauer. Sie werden gleichermaßen Teil des Geschehens, werden mit ihm sinnlich, emotional und geistig konfrontiert, werden von ihm schockiert oder fasziniert oder beides zusammen. Auf jeden Fall müssen sie sich zum Geschauten und Gehörten in einer Weise real verhalten. Performance setzt vorrangig auf erlebte und gemeinsam geteilte Gegenwart, sie akzentuiert zu diesem Zweck den Moment gegenüber dem Ganzen, spielt das Experiment gegen das fertige Kunstwerk aus, bevorzugt den Prozess vor dem Endprodukt. Sie rechnet mit der Unberechenbarkeit der Zeit ebenso wie mit Widerspenstigkeit ihrer Materialien.

Der Lehr- und Forschungsbereich Performance der twm widmet sich der Geschichte, der Ästhetik und den weltanschaulichen Tendenzen dieser hochaktuellen Kunst und ihrer brisanten Ausgriffe auf die Realität.Die Stadt München avanciert immer mehr zum Geheimtip in Sachen Performance-Kunst. Renommierte städtische Festivals wie Spielart und Tollwood tragen dazu ebenso bei wie die wachsende Zahl von lokalen Künstlern, die sich den experimentellen Formen darstellender Kunst verschrieben haben. Deshalb steht gerade der Lehr- und Forschungsbereich Performance der twm für eine offene, interdisziplinäre Ausrichtung mit Raum für eine Vielzahl wissenschaftlicher Ansätze und theoretischer Perspektiven.