Theaterwissenschaft München
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Sprechtheater

Theater muss sein! – So bestimmt lässt sich die gesellschaftliche Geltung einer Kunst formulieren, die seit ihren Anfängen in der griechischen Antike in besonderer Nähe zum Menschen und seinem Leben stand und nach wie vor steht. Zuallererst dadurch, dass sie sich, von Menschen für Menschen gespielt, live vor unseren Augen und Ohren ereignet.

Der Reichtum der Theaterkunst, die durch die Vielfalt ihrer Mittel das geistige wie sinnliche Vermögen der Zuschauer zugleich anspricht, wird im Sprechtheater kanalisiert durch das gesprochene Wort. Es bindet das auf der Szene Gezeigte an die Dimensionen von Sinn und Bedeutung. Um einen Satz Goethes zu variieren: Es ist nichts theatralisch, was nicht für Auge und Ohr symbolisch wäre.

Sprechtheater, das sich nach klassischem Verständnis als Darstellung eines durch das gesprochene Wort ausgetragenen Konflikts definiert, brachte menschlich Relevantes nicht nur zur Erscheinung, sondern auch zu Gehör: Ungeachtet der hohen historischen Variabilität seiner Inhalte, Formen, Genres und ästhetischen Strukturen verwandelte es im Wort- und Rollenspiel der Darsteller die Wirklichkeit zum Spiel, erzählte von mal weiter, mal enger dimensionierten menschlichen Problemen, stimmte zu oder lamentierte, feierte oder verklagte, brachte zum Träumen oder riss aus allzu süßen Träumen, bot Lösungen an, stellte Fragen oder stellte infrage. Die großen und kleinen Dialoge und Monologe des Theaters sind sozusagen klingende Gefäße für Vertrauen und Skepsis gleichermaßen.

Sprechtheater, das Spiel mit Worten, das von der gesprochenen Sprache handelt, indem es durch sie und mit ihr handelt, wird dadurch zum Hort menschlicher Belange in all ihrer Mannigfaltigkeit. Das was war, was ist und was sein kann oder wird – auf höchst spannungsreiche und produktive Art und Weise werden die Perspektiven vereint und konfrontiert im szenischen Sich-Ereignen des Theater-Wortes.

Auch wenn sich im Laufe des langen 20. Jahrhunderts wesentliche Verschiebungen im klassischen Verhältnis von Drama und Theater, von gesprochenem Wort und Spiel-Szene ergeben haben: Das Sprechtheater ist und bleibt damit eines der Flaggschiffe engagierter und sozial orientierter Kunst, die sich beständig mit unserer Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auseinander zu setzen hat. Es verwirklicht in besonderem Maße den Anspruch an die Bühne, den August Everding treffend formulierte: Theater ist gestern, nie von gestern, ist heute, aber nie heutig und hoffentlich für morgen.