Theaterwissenschaft München
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Frank Halbach: Ahasvers Erlösung

Der Mythos vom Ewigen Juden im Opernlibretto des 19. Jahrhunderts
(2009) Band 14

Verflucht zu Unsterblichkeit und endloser Wanderschaft, weil er Christus auf dem Kreuzweg verspottete: Ahasver.
Der Mythos vom Ewigen Juden formierte sich bereits im frühneuzeitlichen Spannungsverhältnis zwischen Christentum und Judentum. Der Figur ist dabei von Anfang an eine Ambivalenz eingeschrieben, die zwischen einer Vereinnahmung als ewiger Sündenbock und bußfertigem »Vorzeigejuden« changiert. Die Adaption als Opernsujet erfolgt in einer Zeit, in der die Frage nach der jüdischen Emanzipation und die darauf folgende Gegenreaktion Virulenz gewinnt. Auch in der musiktheatralen Verwertung des Ahasvermythos bleibt die Ambivalenz maßgebliches Charakteristikum: Auf der einen Seite Konglomerate aus lange zirkulierenden antijüdischen Klischees mit neuen (proto-)antisemitischen Stereotypen, auf der anderen die Zeichnung einer philosemitschen Identifikationsfigur für das heimatlose Volk Israel.
Ahasver wandert auf der Opernbühne von der tableaugeprägten Grand Opéra über das Musikdrama Richard Wagners bis zur »Avantgarde«-Oper Busonis. Er ist Anlass für effektvollen Bühnenzauber der Theatermaschinerie, Metapher für die allgemein menschliche Sehnsucht nach Erlösung und trojanisches Pferd, um im Deckmantel des tradierten Mythos antijüdische Ideen zu transportieren. Die Arbeit am Mythos vom Ewigen Juden setzt sich auch auf der Opernbühne bis heute fort: Implizite Stereotypen der Verfolgung trägt Ahasver dabei als nichtloszuwerdenden Ballast stets mit sich.

 

Rezension auf www.dieter-david-scholz.de/cosimaskinder.htm:

"Dieter David Scholz: Neue Wagnerbücher
Auch der Fliegende Holländer ist einer jener Männer, die bei Wagner erlöst werden von aufopferungswilligen Frauen. Frank Halbach hat in seinem aus seiner Dissertation her-vorgegangenen Buch „Ahasvers Erlösung“, das beim Herbert Utz Verlag erschienen ist, den „Mythos vom Ewigen Juden im Opernlibretto des 19. Jahrhunderts“ untersucht. Auch Eine bemerkenswerte, gründliche und differenzierte Arbeit! Nicht nur wird der Ahasver-Mythos mit seinen Varianten in der Literatur des 19. Jahrhunderts vor und nach Wagner so ausführlich wie nie zuvor dargestellt.  Zwischen Weltschmerz und Camouflage sichtet Halbach die Spuren Ahasvers, er beleuchtet Halevy und Scribe, Felix Weingartner, Heinich Bulthaupt, Busoni und  d´Indy neu.  In einem großen Kapitel hat er sehr präzise analysiert, wie Richard Wagner den Mythos Ahasvers, des ewigen Juden, in seine Werke implantiert hat, nicht nur in den „Fliegenden Holländer“, sondern auch in den „Ring“ und vor allem im den „Parsifal“. Ein äußerst spannendes, lehrreiches Buch, das historische Zusammenhänge verdeutlicht und mit dem Missverständnis aufräumt, Wagner gehe es auf der Bühne um antisemitische Camouflage. Für mich das Wichtigste Wagner-Buch des Jahres."