Theaterwissenschaft München
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Forschungsprofil

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Das Experiment

Während dem traditionellen Theaterverständnis nach Musik, Tanz, Sprechtext und Performance als klar voneinander unterscheidbare Kategorien theatraler Darstellung gelten, wird durch die experimentellen Ansätze im Neuesten Musiktheater mit einem Mal deutlich, dass die augenscheinlich differenten szenischen Ausdrucksformen sich gegenwärtig nicht länger als unterschiedliche Dimensionen des theatralen Ereignisses begreifen lassen. Vielmehr erweisen sie sich als differentielle Ausprägungen eines komplexen Phänomens, das gerade keine Hierarchisierung unterschiedlicher Darstellungsebenen zulässt, sondern im Changieren zwischen bekannten Mustern in jedem Augenblick immer wieder neue Formen annimmt.

Sound and Movement

Das im wahrsten Sinne des Wortes wesentliche Kennzeichen dieses experimentellen Musiktheaters liegt dabei in der unmittelbaren Verschränkung von Sound und Movement, mithin der unmittelbaren Überlagerung klanglicher Strukturen einerseits, die vom unspezifischen Geräusch bis zur konkreten, tonalen Komposition reichen, mit individuellen Bewegungsmustern andererseits, die sowohl in der jeweiligen Positionierung des Zuschauers als auch in der szenischen Performance den Raum im Laufe der Zeit beständig neu konfigurieren. Dem entsprechend lässt sich die Einheit von Sound and Movement gerade nicht als bloße körpersprachliche Umsetzung musikalischer Formen verstehen oder aber auf eine durch die Bewegung der Körper im Raum geprägte Klangwirkung reduzieren. Vielmehr sind Klang und Bewegung hier in einer unauflöslichen Einheit verschmolzen, die in ihrer je spezifischen Form sämtliche Momente des jeweiligen theatralen Ereignisses – die Szene, den Raum, die konkrete Geschichte, die zeitliche Abfolge von Augenblicken – determiniert.

Die "zentrale" Idee

Da die klassischen Kategorien der Beschreibung mit Blick auf die experimentellen Formen des Neuesten Musiktheaters notwendig versagen, gilt es zur Erhellung seiner eigen-artigen Strukturen über die Fächergrenzen hinweg nach neuen methodischen Zugriffsmöglichkeiten zu suchen. Die Forschungsansätze innerhalb der twm einerseits, die sämtliche Bereiche der theaterwissenschaftlichen Forschung in sich vereint, und die Münchner Theaterszene andererseits, die nicht nur in den Schauspiel- und Opernhäusern, sondern auch in zahlreichen, international renommierten Festivals mit einem ungeheuer breiten Spektrum an innovativen theatralen Impulsen aufwartet, bieten hierbei freilich eine Fülle äußerst spannender Ansätze und Herausforderungen.
Ziel des Forschungszentrums ist es nun, in der neuartigen Vernetzung und spezifischen Fortschreibung aktueller wissenschaftlicher Diskurse aus dem In- und Ausland neue Ansätze für die Auseinandersetzung mit den experimentellen Formen des Neuesten Musiktheaters zu entwickeln. Zudem aber gilt es, durch jährliche internationale Symposien sowie durch individuelle Theoriediskussionen ein Netzwerk aus der gemeinsamen Arbeit und Erfahrung verschiedenster WissenschaftlerInnen zu schaffen, das aus den Kompetenzen unterschiedlichster Disziplinen und Sparten einen äußerst differenzierten Blick auf die ästhetischen Gegenstände entstehen lässt: Im Zentrum stehen somit keineswegs nur die Experimente des gegenwärtigen Theaters selbst, im Zentrum steht vielmehr auch das Experimentelle des wissenschaftlichen Zugangs sowie der mit Blick auf die ästhetischen Objekte formulierten innovativen Fragestellungen an sich.

Absolut gegenwärtig

Dem entsprechend versteht sich das Forschungszentrum weder als bloßes, praxisbegleitendes Anhängsel der aktuellen Theaterszene noch als ein Archiv moderner Theatergeschichte. In der Auseinandersetzung mit den ästhetischen und theoretischen Grundlagen neuester Kunstwerke sucht es stattdessen die Grenzen des Denkbaren durch immer neue Fragestellungen immer wieder auszuloten und sich dabei selbst immer wieder neu zu verorten:
Es gilt, sich der Gegenwärtigkeit jedes Augenblicks bewusst zu werden – und das Experiment jeden Augenblick neu zu wagen!

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