Theaterwissenschaft München
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Filmästhetik und Netzökonomie - Net Gain and Film Aesthetics

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Die kollektive (Neu)Schöpfung der Stop Motion-Animation in Videoplattformen wie You Tube, My Video, StopMoShorts

 

Das Teilprojekt ‚Filmästhetik und Netzökonomie’ befasst sich mit der Frage, inwiefern die netzbasierte Interaktion von so genannten social networking-Websites eine Neuschöpfung des Film-Genres Stop motion betreibt und welche ästhetischen und ökonomischen Konsequenzen sich aus diesem netzbasierten Genre ergeben. Netzbasiert distribuierte Kurzfilme (etwa bei YouTube, MyVideo, StopMo) zeichnen sich insbesondere durch ihre mediale Einbettung in eine interaktive Struktur aus. Man kann die Filme dieses Genres in der Regel nur im Rahmen der entsprechenden Websites ansehen. Zwar gibt es die Möglichkeit, den Bildschirm auf Vollbild zu bringen, aber der routinierte Kontrollblick auf die Umgebung des Filmfensters ist obligatorisch spätestens nach Filmende (i.d.R. dauern die Clips etwa 2-5 Min.). Der Clip wird dort kategorisiert in ein bestimmtes Genre, es werden die Ratings und die Zugriffe aufgeführt und ein Archiv der Diskussionsbeiträge zum Film bereitgestellt, hier ist sowohl die Anzahl der Beiträge angegeben als auch der Volltext der Kommentare einsehbar. Der Film wird also zum einen ‚Gesprächsanlass’ für die Web-Gemeinde, quasi eine Gabe des Filmmachers, zum anderen lässt sich durch die oben angegebenen ‚Leitzahlen’ und die konkreten Kritiken der ‚Wert’ eines Filmes bestimmen. Durch die kollektive Wertbestimmung – sowohl unbewusst durch unachtsamen Zugriff, als auch die bewusst verschriftlichte Kritik – erfolgt in einer Feedback-Schleife eine ästhetische Disziplinierung. YouTube-Autoren sind ‚Serientäter’, ebenso wie YouTube-Kommentatoren. Oft fallen beide Rollen in eines, jeder kritisiert jeden Film und jeder produziert selbst Filme, auf die er im Zweifel in seinen Kommentaren hinweist. Somit erscheinen die traditionell linear verlaufenden Wege von Produktion – Distribution – Rezeption von Unterhaltungskunst und Medienpraxis nachhaltig erschüttert und lassen sich eher in Schleifen und Netzkonfigurationen beschreiben. Dies betrifft auch etwa netzbasierte populäre Musik oder Videokunst, die auf Social Networking Sites unabhängig von großen Plattenfirmen oder Vertriebsagenturen Stars und Erfolgsprodukte schöpft. Die so erfolgte ‚Wertbestimmung’ ist gleichzeitig eine Orientierung von neuen Rezipienten, die hoch ‚gerankte’ Filmclips vorrangig anschaut und somit wiederum den ‚Ranking’-Effekt verstärken, und auch von Talentscouts der herkömmlichen Kulturindustrie, die anhand von Zugriffszahlen schon im Voraus den Erfolg eines bisher in ihren Strukturen nicht veröffentlichten Produktes ablesen können. Marktforschung im Vorgriff also.

Social Networking Sites wie YouTube und MyVideo lassen sich zwischen den beiden Polen ‚community’ und ‚commerce’ verorten. Seit Mitte der 1980er Jahre – das Projekt ‚The Well’ (seit 1985) gilt als die ‚Urmutter’ der vernetzten Kommunikationsgemeinden – die politische Relevanz von ‚virtual communities’ als globale Sozialutopie beschworen wurde, machte man sich ab Mitte der 1990er – der Hochphase des ‚dot-com’-Geschäftes – darüber Gedanken, inwieweit sich die Bindung der ‚community’-Mitglieder an ihre Website, ihr Projekt, ökonomisch nutzen ließe. Seither sind zahlreiche Webstrukturen entstanden, die den ‚community’-Gedanken mit einträglichem ‚commerce’ verkreuzen, Ebay ist hier nur eines der prominentesten Beispiele. Das hier anvisierte Projekt möchte in seiner Fragestellung nun noch einen Schritt weitergehen und von der Wertabschöfpungs-Diskussion zur Produktivität der Netizens kommen. So wird hier nicht nur die Frage fokussiert, inwiefern ‚community’-Strukturen nützlich sind für die Vermarktung von Produkten, inwiefern die Mitglieder durch Chats, Foren und beeinflussbare Rankings als Kunden an ein Produkt gebunden werden können – dies wäre das erste ökonomische Interesse eines Unternehmens – sondern auch inwiefern die Netz-Performances der Mitglieder und der Produkte – in diesem Fall der Filme und der Autoren – schöpferisch werden, also selbst Produkte herstellen und deren Wert beeinflussen.

Folgende Fragen werden die Forschung zum Projekt leiten:

- Welche medialen Oberflächen gibt es und welche ästhetischen Merkmale haben ihre Produkte?

- Wie stellt sich die Medienpraxis der SNS dar? Welche Rückkopplungsschleifen laufen?

- Welche aktuellen und strukturellen Akteure gibt es?

- In welchem Verhältnis stehen kollektive Agency und Performance in Bezug auf den Kunst- und Marktwert von netzbasierten Stop Motion-Filmen?

- Wie werden die Einzelfilme und ihre Autoren zugänglich gemacht und rezipiert?

Dr. Meike Wagner